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§
61 Personenstandsgesetz - quo vadis?
Datenschutzrechtliche Argumente für die Benutzung von Personenstandsbüchern
durch Historiker und Genealogen
(von Hans-Jürgen Wolf)
Die rasante Entwicklung neuer
Medien-Technologien und deren Einzug in den privaten Haushalt breiter Bevölkerungsschichten
weckt Informationsbedürfnisse. Vor diesem Hintergrund nimmt es nicht
Wunder, dass in der Bevölkerung das Interesse an der eigenen
Familiengeschichte wächst und die Familienforschung insgesamt boomt.
Demgemäß häufen sich auch in den Standesämtern die Anfragen von
Genealogen mit der Bitte um Einsicht in die Personenstandsbücher, die
Erteilung von Auskünften, sowie der Ausfertigung von
Personenstandsurkunden.
Die Enttäuschung der Forschungsinteressenten ist allerdings groß, wenn
sich Standesbeamte bei der Verweigerung von Auskünften aus oder der
Einsichtnahme in Personenstandsbücher in einer für den Laien nicht immer
nachvollziehbaren Art und Weise pauschal auf "den Datenschutz"
berufen. Betroffen von dieser Haltung sind allerdings nicht nur
Familienforscher, denen daran gelegen ist, nähere Informationen über
ihre Vorfahren zu erhalten. Betroffen ist auch die historische Forschung
schlechthin, die durch bestehende Einsichts- und Übermittlungsrestriktionen
ebenfalls nachhaltig behindert wird.
Nach § 61 Absatz 1 Personenstandsgesetz (PStG) in der seit dem 1. Januar
1958 geltenden Fassung kann die Einsicht in Personenstandsbücher, die
Durchsicht dieser Bücher und die Erteilung von Personenstandsurkunden nur
von Behörden im Rahmen ihrer Zuständigkeit und von Personen verlangt
werden, auf die sich der Eintrag bezieht, sowie von deren Ehegatten,
Vorfahren und Abkömmlingen. Anderen Personen stehen Benutzungs- und
Auskunftsansprüche nur zu, wenn sie ein rechtliches Interesse glaubhaft
machen können, d. h. wenn die Kenntnis der Personenstandsdaten eines
Dritten zur Verfolgung von individuellen Rechten oder zur Abwehr
individueller Ansprüche erforderlich ist.
Ein rechtliches Interesse wurde z. B. für den Gläubiger eines
Verstorbenen, für einen durch das Nachlassgericht oder den
Nachlasspfleger beauftragten Erbenermittler, für den im
Erbscheinsverfahren tätigen Notar, oder den potentiellen Erben bejaht.
Verneint wurde das Vorliegen eines rechtlichen Interesses dagegen für
private Forschungszwecke eines Universitätsprofessors, für ein
"nur" berufliches Forschungsinteresse an der Erstellung eines
Musikerlexikons, für die private Familienforschung in der Seitenlinie, ja
selbst für einen Ehegatten bezüglich des für eine frühere Ehe des
anderen Ehegatten angelegten Familienbuches.
Es steht außer Frage, dass die private Familienforschung und/oder außerbehördliche
Forschungsvorhaben von Historikern nicht die vorstehend aufgezeigten
Voraussetzungen erfüllen, die entsprechend dem eindeutigen Wortlaut der
zugrundeliegenden gesetzlichen Bestimmung an das Vorliegen eines
rechtlichen Interesses zu stellen sind. Unbeschadet dessen stellt sich
allerdings die Frage, ob diese benutzungsrechtlichen Restriktionen
rechtliche eigentlich (noch) geboten sind.
Es liegt auf der Hand, dass eine gesetzliche Vorschrift, die aus einer
Zeit stammt, in der Datenschutzgesetze noch unbekannt waren, nicht als
bewusst geschaffene Datenschutznorm (miss)verstanden werden darf. Die
Entstehungsgeschichte des § 61 PStG zeigt auch, dass nicht die
Familienforschung oder die typischen Gefahren einer elektronischen
Datenverarbeitung den Gesetzgeber veranlasst haben, die Nutzung der
Personenstandsbücher einzuschränken. Alleiniger Grund für geschaffene
Restriktionen waren vielmehr die negativen Erfahrungen im Umgang mit den
Personenstandsbüchern durch staatliche Stellen durch die
Nationalsozialisten. Gerade die im Jahre 1937 erlassene Fassung des
Personenstandsgesetzes, die lediglich ein "berechtigtes
Interesse" für die Einsichtnahme in Personenstandsbücher vorsah,
bildete nämlich die gesetzliche Grundlage für die Ausnutzung der
Personenstandsbücher zur Verfolgung religiöser und ethnischer
Minderheiten. Vor diesem Hintergrund hielt es der Gesetzgeber im Jahre
1958 zu Recht für geboten, eine die Benutzung der Personenstandsbücher
durch Unbefugte einengende Vorschrift zu schaffen. Gesetzgeberisches Motiv
war sehr wohl der individuelle Schutz des Bürgers vor (in erster Linie)
staatlichen Eingriffen, Überlegungen mithin, die uns - ausgelöst durch
das "Volkszählungsurteil" des Bundesverfassungsgerichtes -
Jahrzehnte später Datenschutzgesetze erstmals beschert haben.
Was also liegt zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen eigentlich näher,
als die Vorschrift des § 61 PStG systemkonform in das zwischenzeitlich
geschaffene datenschutzrechtliche Gefüge einzugliedern?
Datenschutzrechtliche Erwägungen können und dürfen aber nur dort
greifen, wo es um die Übermittlung von personenbezogenen Daten noch
lebender Personen geht, weil deren Persönlichkeitsrechte dadurch tangiert
sind. Für bereits verstorbene Personen verlieren Überlegungen dieser Art
an Überzeugungskraft, denn es gibt gerade keinen generellen und über den
Tod hinauswirkenden Persönlichkeitsschutz10), der eine absolute
Informationssperre unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten
rechtfertigen könnte. Es gibt deshalb auch keine argumentativ überzeugenden
Gründe, den Zugang zu den Personenstandsbüchern nicht unter den gleichen
Voraussetzungen uneingeschränkt zuzulassen, wie sie etwa in den einschlägigen
Archivgesetzen verankert sind.
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